Im Rahmen der Vortragsreihe „Ein Jahrhundert diplomatischer Beziehungen aus kulturhistorischer Perspektive“ aus Anlass des 100. Jahrestages der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Estland findet am 18. Oktober 2021, um 18:00 Uhr, ein Vortrag zum Thema „Geschichte und Geschichten. Deutschland und Estland im Spiegel ihrer Literaturen“ statt.

Mit:

Jaan Undusk, Dr. phil., Autor und Literaturwissenschaftler, Estnische Akademie der Wissenschaften, Direktor des Under-und-Tuglas-Literaturzentrums der Estnischen Akademie der Wissenschaften.

Cornelius Hasselblatt, Dr. phil., Ordinarius für finnougrische Sprachen und Literaturen an der Universität Groningen (1998-2014), korrespondierendes Mitglied der Estnischen Akademie der Wissenschaften, Ehrendoktor der Universität Tartu.

Das Gespräch werden Jaan Undusk und Cornelius Hasselblatt auf Deutsch führen.

Ort: Botschaft der Republik Estland, Hildebrandstr. 5, 10785 Berlin

NUR MIT VORHERIGER ANMELDUNG PER E-MAIL: embassy.berlin@mfa.ee

 

Geschichte und Geschichten. Deutschland und Estland im Spiegel ihrer Literaturen

Die fast tausendjährigen und gar nicht so selten „undiplomatischen“ Kontakte zwischen Deutschen und Esten sind viel älter als die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Literaten früherer Jahrhunderte bilden Grundlage und Hintergrund (z.B. Heinrich von Lettland, Jakob Michael Reinhold Lenz, August von Kotzebue, Garlieb Helwig Merkel, Kristian Jaak Peterson, Friedrich Robert Faehlmann, Friedrich Reinhold Kreutzwald, Lydia Koidula), von denen die Ereignisse der letzten 100 Jahre nicht zu trennen sind.

Die Schlüsselfigur am Anfang der jüngeren deutsch-estnischen literarischen Beziehungen, Eduard Vilde, der erste estnische Botschafter in Berlin in den Jahren 1919‒1920, ist zugleich einer der bekanntesten estnischen Schriftsteller. Als Este in der Umgebung des baltischen Gutshauses aufgewachsen und in deutschen Schulen gebildet, beherrschte er Deutsch sehr gut. Er hat bereits in den 1890er Jahren in Berlin wichtige literarische Erfahrungen gesammelt und manches sogar auf Deutsch geschrieben. Seine Prosa bietet ein weites Panorama der deutsch-estnischen Gesellschaft im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, wo nicht nur alle Schichten und Menschentypen, sondern auch soziale Bestrebungen, heftige Konflikte und Ambivalenzen dargestellt werden.

Auch der führende Prosaiker der Zwischenkriegszeit, Anton Hansen Tammsaare, hat der komplizierten Rolle, die die in Estland ansässigen Deutschen durch die Jahrhunderte gespielt haben, wenigstens einen Roman gewidmet und ihm den wunderbaren Titel „Ich liebte eine Deutsche“ gegeben.

Kulturaustausch ist kein Einbahnstraßenverkehr. Ab den 1930er Jahren wurde estnische Literatur ins Deutsche übersetzt und hierzulande rezipiert. Einige Autorinnen und Autoren sind durchaus bekannt geworden, allen voran seit den 1990er Jahren Jaan Kross, von dem soeben wieder eine Romanübersetzung auf Deutsch erschienen ist, worin das tragische Schicksal eines hochbegabten Esten (des Optikers Bernhard Schmidt) im Deutschland der Zwischenkriegszeit literarisch gestaltet wird.

Diese sind nur einige Beispiele. Es gibt viel zu reden und zu diskutieren über diese schwierige, aber spannende Beziehung.